Die Walz der Handwerksgesellen
,,Du wirst Mensch‘‘- Ein ehemaliger Wandergeselle erzählt

Niko Kettner war vor über 20 Jahren auf der Walz, der Wanderschaft für ausgelernte Handwerksgesellen. Bei einem Besuch berichtet er von seinen Erlebnissen und verrät, ob er die Walz noch als zeitgemäß empfindet.
2002 sei er nach seinem Zivildienst losgezogen, erzählt Niko Kettner, der heute selbstständiger Zimmermeister ist. Da die Wanderschaft für ihn zum Beruf dazugehöre, sei ihm immer klar gewesen: ,,Wenn ich’s mach, dann mach ich’s richtig!‘‘ Außerdem sei die Wanderschaft notwendig, um einen Meistertitel erlangen zu können.
Die eine Walz gibt es laut Niko Kettner nicht
Während der Wanderschaft ziehen die Gesellen los, um in anderen Betrieben zu arbeiten und zu lernen und auch, um menschlich zu wachsen. Die eine Walz gibt es laut Kettner nicht. Die Regeln für die Walz unterscheiden sich je nach Schacht. Ein Schacht ist eine Vereinigung von Handwerkern, die auf Wanderschaft sind oder waren. Kettner gehört zum Schacht ,,Vereinigung der rechtschaffenen fremden Zimmer- und Schieferdeckergesellen Deutschlands‘‘. Dort gelten folgende Regeln: Nur Männer, die unter 30 und ledig sind und weder Schulden, noch Kinder oder Vorstrafen haben, dürfen die Walz antreten. Außerdem ist ein Gesellenbrief, der die abgeschlossene Ausbildung bestätigt, essenziell. Die Dauer der Walz belaufe sich in diesem Schacht auf 3 Jahre und einen Tag, Kettner selbst sei etwas länger auf Wanderschaft gewesen, rund dreieinhalb Jahre. Die Regelungen des Schachtes besagen außerdem, dass sich im ersten Jahr der Walz nur im deutschsprachigen Raum aufgehalten werden darf, im zweiten Jahr nur innerhalb Europas.
Losgezogen sei der damals 22-Jährige in Nürnberg, seine ersten Stationen waren St. Gallen, Wien und der Schwarzwald. Mitgenommen habe er damals nur seine Arbeitskluft, etwas Werkzeug, einen Schlafsack, eine Klarinette, sein Wanderbuch, Waschzeug und den Charlottenburger. Das ist ein Tuch, in dem sein gesamtes Hab und Gut während der Wanderschaft transportiert wurde, erzählt der Zimmermeister. Grundsätzlich sei aber kein Besitz wie ein Handy oder ein Auto erlaubt.
Eigener Besitz sei während der Wanderschaft nicht erlaubt
Geschlafen wurde während der Zeit zum Beispiel in bestimmten Herbergen, teils aber auch unter freiem Himmel. Anders als viele vermuten, sei für Kettner auch das Mitnehmen von Ersparnissen erlaubt gewesen, sagt er. Leben würden die Wandergesellen von diesem Geld und dem, dass sie während der Walz bei den Betrieben verdienten.
Ins Ausland hat es den damals Mitte Zwanzigjährigen mehrmals gezogen: Korsika, Neuseeland und Korea sind nur einige der Orte, die Kettner während der dreieinhalb Jahre aufgesucht hatte.
Niko Kettner empfindet es noch als zeitgemäß auf die Wanderschaft zu gehen- in einer Welt der wachsenden Digitalisierung auch nach wie vor ohne Handy: ,,Weil du dich mit dir selbst befasst‘‘, erklärt er.
2005 erfolgte dann die Rückkehr ins normale Leben: ,,Eine große Umstellung‘‘, bestätigt Kettner. Lange habe er sich geweigert, wieder ein Handy zu besitzen. ,,Davor waren mir materielle Dinge sehr wichtig, ich bin immer einen Mercedes-Benz gefahren und hatte das neueste Handy‘‘, erzählt er. Heutzutage habe er andere Wertvorstellungen. ,,Du wirst Mensch‘‘, fasst der Altgeselle seine Entwicklung zusammen.
Heute ist er selbstständig und betreibt mit seiner Frau und einem Angestellten die Landzimmerei GmbH in Neubrunn. Auf die Frage, ob er die Walz, wenn es wieder 2002 nocheinmal machen würden, weiß Kettner sofort eine Antwort: ,,Ja, es war die schönste Zeit in meinem Leben‘‘.

Von Anna Schmid
